Manöver?
#1
Die Familie Bonde sitzt an einem milden Frühlingstag am großen Holztisch auf der Veranda ihres Hauses in Genepohl. Die Luft duftet nach Blüten und feuchtem Gras, doch eine gewisse Anspannung liegt in der Atmosphäre. Vor ihnen liegt die lokale Zeitung, die in fetten Lettern über die bevorstehenden Militärmanöver der Freien Irkanischen Republik berichtet. Bilder von Flugzeugen, Soldaten und schweren Fahrzeugen zieren die Seiten.
Armine Bonde, die zweitjüngste Tochter, mustert die Zeitung skeptisch. „Was bringt es, solche riesigen Übungen durchzuführen? Es wirkt, als wolle man die Menschen beeindrucken, aber... ist das nötig?“ Ihr Tonfall ist fragend, nicht unbedingt rebellisch, aber eindeutig nachdenklich.
Ihr Vater, Sigmund Bonde, nimmt einen Schluck aus seiner dampfenden Teetasse. „Es ist die Pflicht eines Landes, vorbereitet zu sein, Armine. Die Welt ist nicht so friedlich, wie wir es uns wünschen würden. Militärmanöver sind mehr als nur ein Schauspiel.“
Ihre Mutter, Diomira Bonde, die an ihrer Stickerei arbeitet, wirft ein Stirnrunzeln in die Runde. „Aber Sigmund, zu welchem Preis? Die Kosten für solche Übungen könnten doch für Bildung oder medizinische Versorgung genutzt werden.“
Der älteste Sohn, Folko Bonde, der kürzlich von einem Militäreinsatz zurückgekehrt ist, lächelt leicht. „Und doch würde niemand unsere Ausbildung oder Krankenhäuser verteidigen, wenn es wirklich ernst wird.“ Er ist die pragmatische Stimme, geprägt von seiner militärischen Erfahrung und seiner Liebe zur Familie.
„Aber müssen sie das denn vor unserer Haustür tun?“ fragt Armine und deutet auf die Karte, die die Manöverzone zeigt. „Es gibt so viele abgelegene Orte in Irkanien.“
Plötzlich erhebt sich ein freudiger Ruf von der Seite. Flouf, eine enge Freundin der Familie und regelmäßige Besucherin, kommt mit einem Korb voller frischer Backwaren die Treppe hinauf. „Ich habe gedacht, ich bringe euch etwas, bevor die ganze Straße von Soldaten überrannt wird!“ Ihr Lächeln ist ansteckend, und sie schafft es, die bedrückte Stimmung für einen Moment zu heben.
Die Diskussion schwingt nun in leichtere Bahnen, aber die Nachdenklichkeit bleibt. Auch wenn die Familie Bonde an diesem Tag nicht zu einem endgültigen Urteil über die Manöver kommt, so verbindet sie doch ein Gedanke: Die Balance zwischen Sicherheit und den Werten, die sie als Familie und Nation hochhalten, ist niemals einfach.
Eine Esche weiß ich, heißt Yggdrasil,
den hohen Baum mit heiligem Wasser besprengt;
von ihm fällt Tau in die Täler nieder,
immergrün steht er am Urdbrunnen.

Völuspá, Die Edda

Das Schicksal ist ein Netz, gewoben von Urd, Verdandi und Skuld – unausweichlich, unergründlich, und doch voller Möglichkeiten.
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