30.07.2025, 02:56
"Genepohl Nordost: Die Mauer lebt"
Reportage aus einem entgleisten Experiment
Was tut ein Staat mit einem Viertel, das er nicht zerstören kann, aber auch nicht retten will? Er umschließt es. Baut Mauern, legt Filter über Karten, streicht es aus Plänen. Doch Genepohl Nordost hat nie aufgehört zu existieren.
Seit 2010 steht der Reaktor Nordost-7 im Zentrum der Zone, eine rostige Wunde, von Beton umgeben, unter ewigem Drohnensummen. Die Kernschmelze damals wurde nie vollständig erklärt. War es Sabotage? Ein Konzernexperiment, das zu weit ging? Niemand redet darüber. Außer den Leuten hier. Und sie reden viel.
Heute ist Nordost ein Z-Gebiet, offiziell ohne Verwaltung, inoffiziell ein Ort für das, was anderswo nicht erlaubt ist. Forschungslabore in Bunkern, betrieben von Nebentöchtern der X Corporation oder BEL Industries. Gentherapie auf Rattenbasis. Strahlenresistenztests. Quantenmodulation in offenem Gewebe. Dinge, die das Zentralkommando "niemals autorisiert", aber auch nicht stört.
Dazwischen: Leben. Anarchistische Versorgungsnetze, improvisierte Energieverteilung, Wassersysteme aus wiederverwendeten Industriefiltern. Es gibt Kindergärten, Schulen, sogar ein improvisiertes Theater, das "Reaktorium", gebaut aus Drucktüren und Bleiplatten.
Und doch: Etwas ist gekippt.
Am 29. heuet stürzte eine medizinische Drohne ab. Angeblich gezielt. Der Verlust: zwei Einheiten Nanocillin, drei Blutbeutel, ein Defibrillator. Ein Kind, neun Jahre alt, starb. Ein Name wird genannt: Nerea. Niemand kennt das Gesicht, aber das Graffiti ist überall. Ein silberner Totenschädel mit der Aufschrift: "Sie kam nicht durch die Mauer."
Die Unruhen begannen um 22:04.
Zuerst Lichtausfall im Sektor 3B. Dann gezielter Beschuss der Konzernsensoren mit Laserkoptern. Auf den Dächern formierten sich Gruppen in Schutzkleidung, mit improvisierten Schilden und Schlingen. Niemand hatte Waffen, nur Molotows, Reaktorschrott, Worte.
Das Ziel war klar: Das Südtor der Mauer öffnen. Nicht fliehen, eintreten lassen. Zwei Konvois warteten draußen, angeblich mit Hilfsgütern. Die Regierung verneint. Die Konzerne schweigen. Die Zone brannte.
23:16 Uhr: Erste Drohnen antworten mit Gas.
Nicht tödlich. Nur "beruhigend". Die Bevölkerung weicht nicht. Ein altes Lied erklingt, über Funk übertragen, verstärkt durch die riesige Parabolschüssel des alten Rechenzentrums:
"Wir sind die Kinder der Glut, geboren aus Asche, gehärtet im Licht. Wir leben. Und ihr schaut weg."
0:42 Uhr: Die Tore bleiben geschlossen.
Ein Block fällt in sich zusammen, zu alt, zu oft angezündet, zu oft geflickt. Niemand zählt die Toten. Man spricht von 19. Andere sagen: Es war der richtige Block. Dort saß die Nervenklinik der X-Tochter "Neuomax Systems".
Am Morgen riecht die Luft nach Jod und Kupfer. An der Mauer steht in Strahlenfarbe:
"Wir waren Versuch. Jetzt sind wir System."
Reportage aus einem entgleisten Experiment
Was tut ein Staat mit einem Viertel, das er nicht zerstören kann, aber auch nicht retten will? Er umschließt es. Baut Mauern, legt Filter über Karten, streicht es aus Plänen. Doch Genepohl Nordost hat nie aufgehört zu existieren.
Seit 2010 steht der Reaktor Nordost-7 im Zentrum der Zone, eine rostige Wunde, von Beton umgeben, unter ewigem Drohnensummen. Die Kernschmelze damals wurde nie vollständig erklärt. War es Sabotage? Ein Konzernexperiment, das zu weit ging? Niemand redet darüber. Außer den Leuten hier. Und sie reden viel.
Heute ist Nordost ein Z-Gebiet, offiziell ohne Verwaltung, inoffiziell ein Ort für das, was anderswo nicht erlaubt ist. Forschungslabore in Bunkern, betrieben von Nebentöchtern der X Corporation oder BEL Industries. Gentherapie auf Rattenbasis. Strahlenresistenztests. Quantenmodulation in offenem Gewebe. Dinge, die das Zentralkommando "niemals autorisiert", aber auch nicht stört.
Dazwischen: Leben. Anarchistische Versorgungsnetze, improvisierte Energieverteilung, Wassersysteme aus wiederverwendeten Industriefiltern. Es gibt Kindergärten, Schulen, sogar ein improvisiertes Theater, das "Reaktorium", gebaut aus Drucktüren und Bleiplatten.
Und doch: Etwas ist gekippt.
Am 29. heuet stürzte eine medizinische Drohne ab. Angeblich gezielt. Der Verlust: zwei Einheiten Nanocillin, drei Blutbeutel, ein Defibrillator. Ein Kind, neun Jahre alt, starb. Ein Name wird genannt: Nerea. Niemand kennt das Gesicht, aber das Graffiti ist überall. Ein silberner Totenschädel mit der Aufschrift: "Sie kam nicht durch die Mauer."
Die Unruhen begannen um 22:04.
Zuerst Lichtausfall im Sektor 3B. Dann gezielter Beschuss der Konzernsensoren mit Laserkoptern. Auf den Dächern formierten sich Gruppen in Schutzkleidung, mit improvisierten Schilden und Schlingen. Niemand hatte Waffen, nur Molotows, Reaktorschrott, Worte.
Das Ziel war klar: Das Südtor der Mauer öffnen. Nicht fliehen, eintreten lassen. Zwei Konvois warteten draußen, angeblich mit Hilfsgütern. Die Regierung verneint. Die Konzerne schweigen. Die Zone brannte.
23:16 Uhr: Erste Drohnen antworten mit Gas.
Nicht tödlich. Nur "beruhigend". Die Bevölkerung weicht nicht. Ein altes Lied erklingt, über Funk übertragen, verstärkt durch die riesige Parabolschüssel des alten Rechenzentrums:
"Wir sind die Kinder der Glut, geboren aus Asche, gehärtet im Licht. Wir leben. Und ihr schaut weg."
0:42 Uhr: Die Tore bleiben geschlossen.
Ein Block fällt in sich zusammen, zu alt, zu oft angezündet, zu oft geflickt. Niemand zählt die Toten. Man spricht von 19. Andere sagen: Es war der richtige Block. Dort saß die Nervenklinik der X-Tochter "Neuomax Systems".
Am Morgen riecht die Luft nach Jod und Kupfer. An der Mauer steht in Strahlenfarbe:
"Wir waren Versuch. Jetzt sind wir System."
„Eine Esche weiß ich, heißt Yggdrasil,
den hohen Baum mit heiligem Wasser besprengt;
von ihm fällt Tau in die Täler nieder,
immergrün steht er am Urdbrunnen.“
– Völuspá, Die Edda
Das Schicksal ist ein Netz, gewoben von Urd, Verdandi und Skuld – unausweichlich, unergründlich, und doch voller Möglichkeiten.
den hohen Baum mit heiligem Wasser besprengt;
von ihm fällt Tau in die Täler nieder,
immergrün steht er am Urdbrunnen.“
– Völuspá, Die Edda
Das Schicksal ist ein Netz, gewoben von Urd, Verdandi und Skuld – unausweichlich, unergründlich, und doch voller Möglichkeiten.