Genepohl Nordost
#1
"Genepohl Nordost: Die Mauer lebt"
Reportage aus einem entgleisten Experiment

Was tut ein Staat mit einem Viertel, das er nicht zerstören kann, aber auch nicht retten will? Er umschließt es. Baut Mauern, legt Filter über Karten, streicht es aus Plänen. Doch Genepohl Nordost hat nie aufgehört zu existieren.
Seit 2010 steht der Reaktor Nordost-7 im Zentrum der Zone, eine rostige Wunde, von Beton umgeben, unter ewigem Drohnensummen. Die Kernschmelze damals wurde nie vollständig erklärt. War es Sabotage? Ein Konzernexperiment, das zu weit ging? Niemand redet darüber. Außer den Leuten hier. Und sie reden viel.
Heute ist Nordost ein Z-Gebiet, offiziell ohne Verwaltung, inoffiziell ein Ort für das, was anderswo nicht erlaubt ist. Forschungslabore in Bunkern, betrieben von Nebentöchtern der X Corporation oder BEL Industries. Gentherapie auf Rattenbasis. Strahlenresistenztests. Quantenmodulation in offenem Gewebe. Dinge, die das Zentralkommando "niemals autorisiert", aber auch nicht stört.
Dazwischen: Leben. Anarchistische Versorgungsnetze, improvisierte Energieverteilung, Wassersysteme aus wiederverwendeten Industriefiltern. Es gibt Kindergärten, Schulen, sogar ein improvisiertes Theater, das "Reaktorium", gebaut aus Drucktüren und Bleiplatten.
Und doch: Etwas ist gekippt.
Am 29. heuet stürzte eine medizinische Drohne ab. Angeblich gezielt. Der Verlust: zwei Einheiten Nanocillin, drei Blutbeutel, ein Defibrillator. Ein Kind, neun Jahre alt, starb. Ein Name wird genannt: Nerea. Niemand kennt das Gesicht, aber das Graffiti ist überall. Ein silberner Totenschädel mit der Aufschrift: "Sie kam nicht durch die Mauer."

Die Unruhen begannen um 22:04.
Zuerst Lichtausfall im Sektor 3B. Dann gezielter Beschuss der Konzernsensoren mit Laserkoptern. Auf den Dächern formierten sich Gruppen in Schutzkleidung, mit improvisierten Schilden und Schlingen. Niemand hatte Waffen, nur Molotows, Reaktorschrott, Worte.
Das Ziel war klar: Das Südtor der Mauer öffnen. Nicht fliehen, eintreten lassen. Zwei Konvois warteten draußen, angeblich mit Hilfsgütern. Die Regierung verneint. Die Konzerne schweigen. Die Zone brannte.

23:16 Uhr: Erste Drohnen antworten mit Gas.
Nicht tödlich. Nur "beruhigend". Die Bevölkerung weicht nicht. Ein altes Lied erklingt, über Funk übertragen, verstärkt durch die riesige Parabolschüssel des alten Rechenzentrums:
"Wir sind die Kinder der Glut, geboren aus Asche, gehärtet im Licht. Wir leben. Und ihr schaut weg."

0:42 Uhr: Die Tore bleiben geschlossen.
Ein Block fällt in sich zusammen, zu alt, zu oft angezündet, zu oft geflickt. Niemand zählt die Toten. Man spricht von 19. Andere sagen: Es war der richtige Block. Dort saß die Nervenklinik der X-Tochter "Neuomax Systems".
Am Morgen riecht die Luft nach Jod und Kupfer. An der Mauer steht in Strahlenfarbe:
"Wir waren Versuch. Jetzt sind wir System."
Eine Esche weiß ich, heißt Yggdrasil,
den hohen Baum mit heiligem Wasser besprengt;
von ihm fällt Tau in die Täler nieder,
immergrün steht er am Urdbrunnen.

Völuspá, Die Edda

Das Schicksal ist ein Netz, gewoben von Urd, Verdandi und Skuld – unausweichlich, unergründlich, und doch voller Möglichkeiten.
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#2
Phase 2: Eskalation unter dem Radar

30. Heuet, 04:45 Uhr
Dichte Nebel aus Wasserdampf und Kühlturmresten liegen über Sektor 4C. In den Trümmern des eingestürzten Blocks sammeln sich erste Zellen ausgerüsteter Gruppen. Ihre Uniformen sind improvisiert, graue Parkas, rote Armbinden, selbstgefertigte Zeichen. Es handelt sich offenbar um Überreste der Sozialistischen Bewegung des alten Reichsthings, die nach Jahren des Untertauchens hier wieder in Erscheinung treten.

06:12 Uhr
Ein improvisierter Konvoi mit medizinischem Material wird durchgelassen, nicht von offizieller Seite, sondern durch eine informelle "Wache" am Nordtor. Aufnahmen zeigen, dass die Träger mit dem Emblem der "Vereinten Kommunen von Jadaria" (VKJ) auftreten, einer Gruppierung, die seit Jahren als inexistent galt.

09:30 Uhr
Im Inneren der Zone beginnt die Umbenennung einzelner Straßenzüge. Neue Schilder tauchen auf: "Platz der Volksmacht", "Nerea-Gasse", "Rotfront-Sektor 3". Alte Kameras werden überklebt oder mit Decken verhangen. Gleichzeitig verstummen offizielle Datenfeeds, Ersatz kommt über Funkwellen aus dem Rechenzentrum.

13:15 Uhr
Eine provisorische Radiostation sendet erstmals ein neues Manifest:
"Wir sind die Erben der sozialen Republik. Hier beginnt der Wiederaufbau. In dieser Zone gelten keine Konzerngesetze. Kein Marschall hat hier noch Recht. Wir erkennen nur die Stimme des Volkes an, und diese spricht nun."

Abend, 19:00 Uhr
Berichte mehren sich, dass Sympathisanten aus den Randzonen Genepohls in improvisierten Gruppen Richtung Mauer aufbrechen. Noch sind sie unbewaffnet, aber laut. Sprechchöre:
"Nerea lebt!"
"Nordost ist Anfang, nicht Ende!"
"Licht aus, System tot!"

Nachts, 23:48 Uhr
Eine sekundäre Explosion erschüttert den südlichen Rand des alten Verwaltungssektors. Ziel war offenbar eine unterirdische Leitung, vermutlich zur Sabotage der Energierückführung an angrenzende Stadtteile. Erste Ausfälle in benachbarten Sicherheitszonen D und E.
Die Stadtwerke schieben die Verantwortung auf "unklare Zuständigkeiten innerhalb der Z-Zone".
Eine Esche weiß ich, heißt Yggdrasil,
den hohen Baum mit heiligem Wasser besprengt;
von ihm fällt Tau in die Täler nieder,
immergrün steht er am Urdbrunnen.

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#3
Von Seiten der Dienste wird versucht die Elektrizitätsversorgung des Stadtgebiets zu trennen, was nur von mäßigem Erfolg gekrönt ist. 
Khrukan und Minister der Kommandoabteilung Dienste der Freien Irkanischen Republik
"Ein friedliches Volk braucht keine Freiheit, sondern Sicherheit – koste es, was es wolle."
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#4
In der Nacht haben sich in Genepohl-Nordost organisierte Zellen formiert, die aus den Ruinen heraus erste Verwaltungsstrukturen errichten. Radiobotschaften verkünden eine „Rückkehr der Republik“, alte Straßennamen werden überklebt. Die irkanischen Dienste versuchen, die Stromversorgung zu kappen – bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Offiziell bleibt die Zone „außer Kontrolle“, doch inoffiziell entsteht dort ein neuer Akteur.
Eine Esche weiß ich, heißt Yggdrasil,
den hohen Baum mit heiligem Wasser besprengt;
von ihm fällt Tau in die Täler nieder,
immergrün steht er am Urdbrunnen.

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#5
In den außergewöhnlich warmen Mittags- und frühen Nachmittagsstunden feuert die Marine präzisionsgelenkte Marschflugkörper auf Gebäudekomplexe, die zuvor von den Nachrichtendiensten eindeutig als Widerstandsnester identifiziert worden sind. Die Einschläge erfolgen nahezu gleichzeitig, um Fluchtwege zu unterbinden und die Gefechtswirkung zu maximieren.
Die Marine der Freien Irkanischen Republik
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#6
Einige Redelsführer scheinen nicht sehr erfreut, dass der Marschall überlebt hat. Einige erfahren jetzt erst von den Planungen für sowas. Andere sagen man hätte sich nie auf Ausländer und deren Planung und Waffen oder beides verlassen sollen. Man fürchtet nun, dass der irkanische Staat hier endgültig alles platt macht. 
Eine Esche weiß ich, heißt Yggdrasil,
den hohen Baum mit heiligem Wasser besprengt;
von ihm fällt Tau in die Täler nieder,
immergrün steht er am Urdbrunnen.

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