14.10.2025, 23:55
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 15.10.2025, 00:01 von Аня Kasperskaya.)
Nimmt ein altes Buch aus einem Regal und beginnt zu lesen.
In alten Tagen, als Andro noch die größte Seefahrernation war und die Winde ihre Gebete in die Masten sangen, lebte ein Kapitän namens Kolenar Jermakow. Er war kein junger Mann mehr, aber sein Blick hatte noch das helle Funkeln des Nordsterns, in seinem Herzen glomm die Sehnsucht nach jenen fernen Küsten, die noch keinen Namen trugen. Man sagte, er sei der Letzte der großen Entdecker und der Erste, der den Zorn des Nordlichts auf sich zog.
Es geschah in einer Winternacht, als das Meer unter Eis und Sturm erzitterte. Jermakow befand sich mit seiner Fregatte Tremjuga im Golf von Tazaren, einem Ort, an dem die See flacher wird und die Sterne scheu sind. Die Männer hatten seit Tagen keine Sonne gesehen, nur das grüne Feuer des Himmels, das über ihnen flackerte. Da schwor der Kapitän, er werde das Nordlicht selbst bezwingen, wenn es ihm nicht den Weg nach Westen öffne. Er nahm seine Pfeife, warf sie ins Meer und rief:
„Wenn du lebendig bist, o Flamme des Nordens, dann zeig mir deinen Atem und ich folge ihm, bis das Eis selbst mir Tribut zahlt!“
Die See verstummte. Dann senkte sich das Licht herab wie ein Schleier aus Glas und aus dem Schein trat eine Gestalt, eine Frau formte sich aus Nebel und Schnee, die auf dem Wasser stand und letztlich aussah als sei sie aus Glas. Ihr Haar glühte wie das Polarlicht, ihre Augen waren so tief schwarz wie der Nachthimmel über den Fjorden.
„Sterblicher,“ sprach sie, „du rufst den Wind, doch kennst seinen Preis nicht. Wer den Nordweg erzwingen will, verliert den Heimweg.“
Doch Jermakow lachte. „Ich will nicht Heim. Ich will das Ende der Welt sehen.“
Da legte sie ihm die Hand auf die Brust, ihr Griff war kalt wie gläsernes Wasser. „So sollst du fahren, bis du den Morgen findest, der nicht vergeht. Dein Schiff soll brennen und doch nicht vergehen und dein Herz soll leuchten, doch nie ruhen.“
Als sie verschwunden war, brannte die Tremjuga. Nicht in Flammen, sondern im Schein des ewigen Nordlichts, das sich um ihre Masten wand wie ein grüner Schleier. Die Männer schrien, doch das Eis unter dem Schiff schmolz und sie glitten lautlos nach Westen, hinein in den Sturm.
Niemand sah sie wieder.
Viele Jahre später erzählten die Naugarder Fischer, dass man in stillen Winternächten auf dem Meer ein leuchtendes Schiff sehen könne, das gegen den Wind segelte, ohne Geräusch, ohne Schatten. Wer versuchte, sich ihm zu nähern, fand sein eigenes Schiff von Frost überzogen und hörte Stimmen aus der Tiefe. Befehle in altandroisch, Lieder von Ruhm und Verdammnis.
Einmal, so heißt es, kam ein junger Kapitän aus Naugard, der glaubte, Jermakows Flamme einfangen zu können. Sein Name war Lukan Orestow, und er führte die Brigg Naugradskaja, stolz wie ein Schwan aus Stahl. Als das Polarlicht über den Himmel zog, hielt er Kurs auf die Erscheinung. Seine Männer sahen die Tremjuga in der Ferne - Masten aus grünem Feuer, Segel aus Dampf - sie hörten eine Stimme über das Wasser rufen:
„Wer den Weg des Nordens sucht, der kehre um, ehe das Eis ihn erinnert!“
Doch Lukan lachte, wie einst Jermakow gelacht hatte und fuhr weiter. Die Brigg verschwand im Licht. Wochen später trieb sie leer ans Ufer, die Deckplanken verbrannt, das Steuerrad zu Glas geschmolzen. Nur ein einziger Gegenstand lag auf dem Kapitänstisch: eine Pfeife aus schwarzem Eis, die brannte, ohne zu schmelzen.
Seitdem sagt man in Naugard: Wenn das Nordlicht tanzt, weint das Meer. Und wer den Namen Tremjuga ausspricht, der ruft Wind und Feuer zugleich.
In Andro selbst erzählt man die Sage anders. Dort heißt es, Kolenar Jermakow habe den Geist der See nicht verflucht, sondern geheiratet. Dass die Tremjuga nun das Tor zwischen den Welten bewacht, wo das Salz des Meeres in die Sonne des Südens übergeht. Wenn Sturm und Wind gegeneinander schlagen, sagen die Fischer:
„Das ist der Streit des Ehepaars im Nebel. Sie will ihn heim, er will noch weiterfahren.“
Manchmal, in besonders klaren Nächten, sieht man über dem Meer ein zweites Licht. Ein rötliches, warmes Feuer neben dem kalten Grün des Nordlichts. Dann flüstern die Alten:
„Das ist Orestow mit Zveryna, der Tochter des Jermakow, die sich nie beugen ließ, geboren aus Sturm und Stolz.“
So bleibt die Sage vom Kapitän der Tremjuga eine Warnung und ein Versprechen zugleich. Sie erzählt von der Sehnsucht der Seefahrer nach Unendlichkeit und davon, dass kein Mensch den Himmel zwingen kann, ohne selbst zum Teil seiner Kälte zu werden.
Und wenn die Kinder der naugardischen Küste im Winter an den Fenstern stehen und das Nordlicht sehen, sagen ihre Mütter leise:
„Schaut gut hin, Kinder. Vielleicht winkt euch heute Nacht der alte Jermakow zu. Aber winkt nicht zurück, sonst brennt auch euer Herz bis zum Tauwetter.“
Das Lied der Tremjuga
In alten Tagen, als Andro noch die größte Seefahrernation war und die Winde ihre Gebete in die Masten sangen, lebte ein Kapitän namens Kolenar Jermakow. Er war kein junger Mann mehr, aber sein Blick hatte noch das helle Funkeln des Nordsterns, in seinem Herzen glomm die Sehnsucht nach jenen fernen Küsten, die noch keinen Namen trugen. Man sagte, er sei der Letzte der großen Entdecker und der Erste, der den Zorn des Nordlichts auf sich zog.
Es geschah in einer Winternacht, als das Meer unter Eis und Sturm erzitterte. Jermakow befand sich mit seiner Fregatte Tremjuga im Golf von Tazaren, einem Ort, an dem die See flacher wird und die Sterne scheu sind. Die Männer hatten seit Tagen keine Sonne gesehen, nur das grüne Feuer des Himmels, das über ihnen flackerte. Da schwor der Kapitän, er werde das Nordlicht selbst bezwingen, wenn es ihm nicht den Weg nach Westen öffne. Er nahm seine Pfeife, warf sie ins Meer und rief:
„Wenn du lebendig bist, o Flamme des Nordens, dann zeig mir deinen Atem und ich folge ihm, bis das Eis selbst mir Tribut zahlt!“
Die See verstummte. Dann senkte sich das Licht herab wie ein Schleier aus Glas und aus dem Schein trat eine Gestalt, eine Frau formte sich aus Nebel und Schnee, die auf dem Wasser stand und letztlich aussah als sei sie aus Glas. Ihr Haar glühte wie das Polarlicht, ihre Augen waren so tief schwarz wie der Nachthimmel über den Fjorden.
„Sterblicher,“ sprach sie, „du rufst den Wind, doch kennst seinen Preis nicht. Wer den Nordweg erzwingen will, verliert den Heimweg.“
Doch Jermakow lachte. „Ich will nicht Heim. Ich will das Ende der Welt sehen.“
Da legte sie ihm die Hand auf die Brust, ihr Griff war kalt wie gläsernes Wasser. „So sollst du fahren, bis du den Morgen findest, der nicht vergeht. Dein Schiff soll brennen und doch nicht vergehen und dein Herz soll leuchten, doch nie ruhen.“
Als sie verschwunden war, brannte die Tremjuga. Nicht in Flammen, sondern im Schein des ewigen Nordlichts, das sich um ihre Masten wand wie ein grüner Schleier. Die Männer schrien, doch das Eis unter dem Schiff schmolz und sie glitten lautlos nach Westen, hinein in den Sturm.
Niemand sah sie wieder.
Viele Jahre später erzählten die Naugarder Fischer, dass man in stillen Winternächten auf dem Meer ein leuchtendes Schiff sehen könne, das gegen den Wind segelte, ohne Geräusch, ohne Schatten. Wer versuchte, sich ihm zu nähern, fand sein eigenes Schiff von Frost überzogen und hörte Stimmen aus der Tiefe. Befehle in altandroisch, Lieder von Ruhm und Verdammnis.
Einmal, so heißt es, kam ein junger Kapitän aus Naugard, der glaubte, Jermakows Flamme einfangen zu können. Sein Name war Lukan Orestow, und er führte die Brigg Naugradskaja, stolz wie ein Schwan aus Stahl. Als das Polarlicht über den Himmel zog, hielt er Kurs auf die Erscheinung. Seine Männer sahen die Tremjuga in der Ferne - Masten aus grünem Feuer, Segel aus Dampf - sie hörten eine Stimme über das Wasser rufen:
„Wer den Weg des Nordens sucht, der kehre um, ehe das Eis ihn erinnert!“
Doch Lukan lachte, wie einst Jermakow gelacht hatte und fuhr weiter. Die Brigg verschwand im Licht. Wochen später trieb sie leer ans Ufer, die Deckplanken verbrannt, das Steuerrad zu Glas geschmolzen. Nur ein einziger Gegenstand lag auf dem Kapitänstisch: eine Pfeife aus schwarzem Eis, die brannte, ohne zu schmelzen.
Seitdem sagt man in Naugard: Wenn das Nordlicht tanzt, weint das Meer. Und wer den Namen Tremjuga ausspricht, der ruft Wind und Feuer zugleich.
In Andro selbst erzählt man die Sage anders. Dort heißt es, Kolenar Jermakow habe den Geist der See nicht verflucht, sondern geheiratet. Dass die Tremjuga nun das Tor zwischen den Welten bewacht, wo das Salz des Meeres in die Sonne des Südens übergeht. Wenn Sturm und Wind gegeneinander schlagen, sagen die Fischer:
„Das ist der Streit des Ehepaars im Nebel. Sie will ihn heim, er will noch weiterfahren.“
Manchmal, in besonders klaren Nächten, sieht man über dem Meer ein zweites Licht. Ein rötliches, warmes Feuer neben dem kalten Grün des Nordlichts. Dann flüstern die Alten:
„Das ist Orestow mit Zveryna, der Tochter des Jermakow, die sich nie beugen ließ, geboren aus Sturm und Stolz.“
So bleibt die Sage vom Kapitän der Tremjuga eine Warnung und ein Versprechen zugleich. Sie erzählt von der Sehnsucht der Seefahrer nach Unendlichkeit und davon, dass kein Mensch den Himmel zwingen kann, ohne selbst zum Teil seiner Kälte zu werden.
Und wenn die Kinder der naugardischen Küste im Winter an den Fenstern stehen und das Nordlicht sehen, sagen ihre Mütter leise:
„Schaut gut hin, Kinder. Vielleicht winkt euch heute Nacht der alte Jermakow zu. Aber winkt nicht zurück, sonst brennt auch euer Herz bis zum Tauwetter.“